Die unerwartete Wende
Bitter wie Galle stieg es in Taulins Kehle hoch. Von
den Sein verraten ! Ein Bündnis zwischen ihnen und den N’dragoth würde
mit Sicherheit den Untergang von Cammuoria bedeuten. Alle alten Schriften
hatte er studiert, und wusste genau, wie schwer es war, die Armeen der
N’dragoth, die von den Nachtalben unterstützt wurden, daran zu hindern,
das ganze Land in die Dunkelheit zu stürzen. Die Sein hatten erheblichen
Anteil daran, dass es die lichten Wälder, die blauen Meere und alles
was Taulin kannte überhaupt noch gab. Und jetzt... Seine Knie wurden
weich und zitterten. Kaum fähig, einen klaren Gedanken zu fassen bemerkte
er, dass die Sein, die dicht gedrängt um ihn standen, keinerlei Anstalten
machten, die verfolgenden Nachtalben herbeizurufen. Im Gegenteil, sie hatten
ihn ins dichte Unterholz gezogen - warum ?
„Ihr Verräter" krächzte Taulin und spuckte dem ihm am nächsten stehenden Sein vor die Füsse. „Nur für die Fähigkeit der Magie verratet ihr das ganze Land ? Die Ratten mögen euch fressen, ihr Lumpenpack, euere Knochen sollen verfaulen noch während ihr euere schmutzigen Intrigen schmiedet. Los, dann bringt mich zurück zu dem Ungeheuer da drin, ihr Elenden." Mit einer Kopfbewegung deutetet er auf das Lager der Nachtalben, in dessen Hauptzelt der N’dragoth lauerte. Nach diesem Schlag wollte er nur noch, dass es schnell ein Ende nahm. Alles war verloren. Nicht nur, dass er von den Nachtalben eine furchtbare Strafe zu erwarten hatte. Auch die Aussicht darauf, dass die N'dragoth ihren würgenden Griff wieder nach dem Land ausstreckten und es unweigerlich zur entscheidenden Konfrontation kommen wird - all das raubte Taulin sie Sinne. Und mit Hilfe der Sein, dachte sich Taulin, gibt es keine Zukunft für das Cammuoria, das er kannte. „Hey hey, nun mal langsam Taulin" sprach der, den der Halb-Elf meinte als Anführer zu erkennen. „Nicht gleich so stürmisch" Jetzt war Taulin vollends verwirrt. „Woher kennt ihr meinen Namen ? Interessieren sich die N’dragoth so sehr für mich, dass sie sogar meinen Namen ausspionieren ? Pahh... ihr seid es nicht wert, dass ich mit euch rede. Macht dem Spiel ein Ende und bringt mich endlich zurück, dann sterben mein Zwergenbegleiter und ich wenigstens gemeinsam" Breit grinsend stand der muskulös gebaute Sein vor ihm. Die mächtige Axt, die unzweifelhaft in Granol ‘Ur geschmiedet wurde, in beiden Händen haltend, vollführte er einen gekonnten Schwung hin zu Taulins Kopf. Er sah die scharfe Schneide auf sich zukommen, kniff die Augen fest zusammen und stiess in Todesangst einen verzweifelten Schrei aus. Doch der neben ihm stehende Sein hatte im bereits den Mund zugehalten. Taulin sah nicht, wie die Schneide dicht über seinen Kopf sauste. Er war sicher, dass hier und jetzt sein Leben endete. „Du weißt vieles nicht, Taulin aus dem Elfenwald. Und jetzt solltest du dich am besten ruhig verhalten - die Nachtalben sind ganz in der Nähe. Und wir alle können nichts weniger brauchen, als wenn sie und jetzt endeckten. Ja, wir sind Sein und gehören zur Holzfällergilde. Und es ist auch richtig, dass uns das Recht auf Magie verweigert wird und wir uns dagegen auflehnen. Doch auch wir würden verlieren, wenn die N'ragoth die Herrschaft übernähmen. Die Eisenwälder sind unsere Heimat - und dass das so ist haben unsere Vorfahren mit ihrem Blut erzwungen. Nein, mit den N’dragoth gibt es keinen Pakt. Sie würden alles an sich reissen. Aber wir mussten sichergehen, dass du auch der bist, für den wir dich halten. Carolus, nimm die Hand von seinem Mund, ich glaube, er wird leise sein - wenn er nicht wieder gefangen genommen werden will." Der Sein sprach ganz leise zu Taulin, der die Augen wieder geöffnet hatte und sein Glück, noch zu leben, immer noch nicht recht fassen konnte. Die Gedanken überschlugen sich. Während sein Körper noch zitterte schossen ihm Fragen über Fragen durch den Kopf. Der, den sie Carolus nannten, legte den Arm um ihn und drückte ihn herunter, dass er auf dem weichen Moos zum sitzen kam. Er holte erstmal tief Luft. „Was.... was ... ist hier eigentlich los..? Wer seid ihr ? Woher kennt ihr mich ? Was meint ihr mit ‘sichergehen, dass ich der bin, für den ihr mich haltet’ ?" „Psssst.... leise...." erwiderte der Anführer der Sein. „Ich erkläre es dir. Aber jetzt müssen wir erst einmal sicher sein, dass wir nicht entdeckt werden. Komm mit, es gibt hier gleich in der Nähe einen vergessenen Zwergentunnel. Dorthin gehen wir, und warten erst einmal ab, bis sich die Nachtalben wieder beruhigt haben und nicht mehr nach dir suchen. Ach ja: Ich kenne deinen Namen, da ist es nur recht, wenn du meinen auch kennst. Ich bin Jasor. Und jetzt komm..." „Nein, ich gehe nicht. Da drin ist noch mein Zwergenfreund. Ich kann ihn nicht alleine lassen. Ich muss wenigstens versuchen ihn zu befreien". Mit diesen Worten wandt Taulin sich ab in Richtung des Lagers. Jasor hielt ihn am Ärmel fest. „Sei’ kein Narr. Alleine gegen einen N’dragoth ? Nein, das schaffst selbst du nicht." „Wie ? ‘selbst du nicht’ ? Wie meinst du das ? Ich bin nichts besonderes, ein verstossener Halb-Elf ohne Heimat. Trotzdem gebietet es meine Ehre ihn entweder zu befreien oder bei dem Versuch mein Leben zu lassen. Lass mich also gehen..." „Nein - das kann ich nicht zulassen. Aber wir alle zusammen werden deinen Freund schon noch da heraus holen. Mach Dir keine Sorgen. Der N’dragoth lässt ihn schon am Leben, wenn er sich geschickt anstellt. Noch niemals haben sie die Gänge und Höhlen der Zwerge betreten - das ist ihnen noch nicht gelungen. Für sie bedeutet das eine grosse Schmach und einen grossen Nachteil. Er wird ihn leben lassen, damit er ihn führt. Und jetzt komm’ mit, wir haben viel zu reden."
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(C) by Claus Meurer