Die Geschichte von Kaaloth,
Leti und dem magischen Augenblick
"Seit Tagen schon war diese Unruhe in mir. Des Nachts konnte ich nicht mehr ruhen, wälzte mich ständig im Bett umher, während die Gedanken mich wachhielten. Des Tages war an eine vernünftige Arbeit nicht zu denken. Ständig schweiften diese Gedanken ab, nichts wurde fertig. Es war zum verzweifeln. Aber was soll das gejammere - ich langweile Euch nur. Ich will Euch die Geschichte von Kaaloth, Leti und dem magischen Augenblick erzählen, wenn Ihr bereit seid." sprach Taulin und sah seinem Besucher tief in die Augen.Taulin von Tar 'Ant, manchmal auch Bruder TaC genannt, nahm den schweren, in Leder gebundenen Folianten in die Hand. Auf dem Einband war in Gold der Titel "Die Chroniken von Cammuoria" eingeprägt. Er schlug das Buch auf, musterte nochmals kurz seinen Besucher und fing an zu erzählen:
"Es war zu der Zeit, als ich gerade selbst viel zu tun hatte. Amdarch, der Schmied war unzufrieden und so war ich mitten im Aufbau eines neuen Quartieres. Ja, genau zu dieser Zeit fing es an, dass ich immer unruhiger wurde. Am Anfang wusste ich selbst nicht, warum das so war. Aber bald war mir klar - Zeit zum nachdenken hatte ich ja genug - dass es einfach die Frage nach dem dauerhaften Sein ist, die mir keine Ruhe liess. Als ich mir dessen bewusst was, schickte ich nach dem Akoluthen aus dem Kloster in Nordoth, der gerade in Tar 'Ant verweilte. Für sein junges Alter war er sehr gebildet und weise. Noch am selben Tag konnte ich ihn in der Burg begrüssen.
"Was quält Euch, Taulin von Tar 'Ant" war seine erste Frage, denn mir war inzwischen auch schon anzusehen, dass mich Dinge beschäftigten, die ich nicht alleine bewältigen konnte. "Es ist die Fragen nach dem Dauerhaften, was bleibt...." antwortete ich ihm. "Seht, ich habe viele Dinge erlebt. Doch vieles ist nur noch in der Erinnerung. Nichts dauerhaftes eben. Begebenheiten, an die ich mich gerne erinnere - sie versinken nach und nach im Vergessen der Zeit" fügte ich hinzu. Der Akoluth hörte aufmerksam zu, und überlegte einen kurzen Moment. Dann gab er mir den Rat, die Gegebenheiten festzuhalten. "Schreibt Euere Erlebnisse auf, haltet sie fest, auf das sie immer Euer sein. Die Erinnerungen sind sterblich - lasst die Geschichte, Euere Geschichte, die Zeit überdauern." Das war ein vernünftiger Rat und nach dem Gespräch mit dem Akoluthen ging es mir wirklich besser. Neuer Tatendrang erwachte und ich begab mich sofort auf den Weg, mein Problem zu lösen.
Ich schrieb und schrieb, Erinnerungen zogen vorbei: Die Wanderungen in das ferne Drachental, von mancher bin ich mit einem dicken Kopf heimgekommen. Dem Moorbrand dort konnte ich noch nie gut widerstehen. Die Reisen zu den Drachen der Drachenbande fielen mir ein. Als die Drachen unversehens ein Wochenende in der Burg von Cammuoria verweilten. Die Entdeckung des unbekannten Landes, in dem grosse graue Tiere lebten, mit einem Rüssel statt einer richtigen Nase. Die denkwürdige Schlacht am Turm des schwarzen Magiers zog an meinem inneren Auge vorbei. Bei dem Gedanken an die Begegnung mit dem Drachen, der funkelte und glitzerte wie ein Regenbogen musste ich unwillkürlich wieder schmunzeln. Dankbarkeit überkam mich wieder, als ich daran dachte, wie der edle Ritter Cancelot mir ein Amulett - das ich heute noch in Ehren halte - übergab. Und die Geschichten über den tollkühnen Hansevogel. Ein unterschätztes Wesen, denn wehe, wenn er zum Kampfgeier wird. Der dunkle Paladin in seiner glänzenden Rüstung entstand in meinen Erinnerungen. Es gab so viel, dass aufgeschrieben werden musste.
Alleine war das kaum zu schaffen. Die Geschichten jedoch waren in Cammuoria wohl bekannt. In den Tavernen von Tar 'Ant wurden ständig Anektoden zum Besten gegeben. Also schickte ich Kaaloth, meinen treuen Begleiter, nach dem Haus- und Hofmeister. Es sollte mich unterstützen, und aufschreiben was zu schreiben war.
In langen nächtlichen Gesprächen erklärte ich ihm, was ich von ihm erwartete, erzähle ihm Details aus Geschichten, die nicht bekannt waren. Das Werk konnte seinen Fortschritt nehmen, alles war getan, um das Dauerhafte zu schaffen.
Tage vergingen, aus Tage wurden Wochen, in denen ich den Haus- und Hofmeister zwar kaum sah, aber auch keinen Fortschritt an dem grossen Werk erkennen konnte. Er schien mir regelrecht aus dem Wege zu gehen. So bestellte ich ihn eines abends in den Rittersaal, um mich zu erkundigen, wie weit er denn sei. "Nun, Haus- und Hofmeister, ihr habt schon einige Zeit verbracht. Wie weit ist denn das grosse Werk schon gediehen ?" fragte ich ihn. Er gab mir etwas ausweichende Antworten, mit denen ich nicht zufrieden sein konnt. So drängte ich ihn weiter und weiter. Bis er mir schliesslich gestand: "Edler Taulin, nichts würde ich lieber tun, als meinen Herrn bei dem grossen Werk zu unterstützen. Doch sehet, ich komme aus einer armen Familie. Den Weg zum Haus- und Hofmeister habe ich mir schwer erarbeitet. Doch eine Ausbildung zum schreiben hatte ich nie. Mein Vater, der nur ein einfacher Hufschmied war, konnte sich das einfach nicht leisten." Nach diesem Geständnis sass der Haus- und Hofmeister ziemlich geknickt vor mir. "Aber warum habt Ihr mir das nicht gleich gesagt ? fragte ich ihn und er entgegnete mit leiser Stimme: Weil ich mich schämte. Verzeiht mir."
Er tat mir richtig leid. Und so kam es, dass ich ihn auf Kosten der Staatskasse auf eine Schreibschule in Eidros schickte. Doch nun war wieder viel Zeit verstrichen und nichts dauerhaftes ist geschehen. Wieder grübelte ich nächtelang. Kaaloth, der meist auf seinem Lieblingsplatz, dem Kaminsims hockte, beobachtete mich aufmerksam und gleichzeitig besorgt. Ich wusste keinen Rat mehr. So fand mich Irrulayt, mein Hofmagier. Auch er machte sich - zu recht - schon Sorgen. "Herr," sprach er mich an, "Euere Sorge bedrückt ganz Tar 'Ant. So kann es nicht weitergehen. Selbst ich fühle mich oft niedergeschlagen, wenn ich daran denke, wie Ihr Euch quält. Ich habe mit dem Grossmeister meine Loge gesprochen. Die Gilde der Zauberer kann vielleicht helfen. Doch versprechen kann ich nichts. Worum ich Euch bitte, ist etwas Zeit und einen Raum, wo ich ungestört arbeiten kann." Ich war dem Magier wirklich sehr dankbar, aber was Magie und Zauberei angeht ? Ist das nicht auch vergänglich ? "Ich danke Euch für Euere Anteilnahme. Aber sprecht, mein Magierfreund: kann denn Magie und Zauberei dauerhaftes auf Pergament festhalten ?" Irrulayt aber erwiderte bestimmt: "Nicht alles, was dauerhaft sein soll, bedarf der Schriftform. Drängt mich nicht, ich kann nicht weiter über die Pläne der Zauberer-Gilde sprechen. Wie Ihr wisst verbietet es der Kodex, darüber zu reden."
Vielleicht lag hier ja eine Möglichkeit - ich wusste es nicht. Aber es fiel mir auch nicht schwer, auf die Forderungen von Irrulayt einzugehen. Der Turm der Magier im Westen von Cammuoria stand leer und dorthin empfahl ich ihn. Dort konnte er und die Gilde der Zauberer ungestört arbeiten.
Wieder und wieder vergingen die Tage. Hoffnung wechselte sich ab mit tiefer Resignation. Bis eines morgens der Magier in meinem Schlafgemach erschien. Schemenhaft erst nur, dann aber in seiner ganzen stofflichen Pracht. Er musste direkt aus dem Turm der Magier kommen, sonst hätte er die Treppe in mein Schlafgemach gewählt. "Herr, es ist soweit" sagte er mit gemessener Stimme. Und so machten wir uns auf den Weg zum Turm. Es war ein beschwerlicher Weg, denn mir standen nicht die Mittel des Reisens durch die Sphären zur Verfügung, und die alte magische Pforte, die Tar 'Ant mit dem Turm der Magier verband, wurde in den Kriegen mit den N'dragoth zerstört. Und leider nie wieder aufgebaut. Doch nach drei Tagesreisen waren wir am Ziel: Der Turm der Magier.
"Tretet ein, als Herrscher über Cammuoria ist es Euch gestattet" meinte Irrulayt. Im dunklen Zwielicht des Turmes stiegen wir die Treppen hinauf in den Arbeitsraum der Zauberer. Doch bevor ich die Tür zu diesem Raum öffnen konnte, hielt mich der Magier zurück. "Bevor Ihr eintretet, lasst mich erklären" sprach Irrulayt. Die Gilde der Zauberer hat ein Bild geschaffen: auf Granit aus dem Herzen Cammuorias - dem Reich Granol 'Ur. Die Farben aus Blütenstaub, der aus dem fernen Tiredachan herbeigeschafft wurde. Verbunden mit geheimen Zauber und versehen mit einer uralten Magie meiner Loge. Ich weiss, was Ihr sagen wollt - es ist nur ein Bild, nur ein Augenblick. Sagt es nicht - tretet ein."
Und so betrat ich den Raum, der nur spärlich von einigen Fackeln erhellt wurde. Vor dem rohen Arbeitstisch, auf dem noch seltsame Gerätschaften lagen, blieb ich stehe. Und Irrulayt durchmass den Raum mit weiten Schritten und blieb vor der Stirnwand stehen. Dort aufgehängt war das Bild, verhüllt von einem Tuch aus schwarzem Samt. Der Magier zog das Tuch weg und mit einem dunklen glühen kam das Werk der Zauberer zu Tage. Ich studierte das Bild, in dem der Moment festgehalten war, als sich Kaaloth und Leti, das Elfenpferd der edlen Karin von Tiredachan, zum ersten Mal begegneten.
Dutzende von Erinnerungen schossen mir duch den Kopf: Die erste Begegnung mit Karin von Tiredachan, als sie sich als kräuterkundige Geschichtserzählerin in Ausbildung vorstellte. Wie Kaaloth und Leti Freunde wurden, wie sie den Haus- und Hofmeister verzauberten. Der Tag, an dem Kaaloth gegen den Wegweiser in den Ländern des Hirsches flog. Der Illusionszauber, den Leti webte und die Strafe dafür... all das entstand vor meinen Augen. Ich wand mich ab. Schon wieder nur Erinnerungen, dabei hatten die Zauberer und Magier es wirklich gut gemeint. mit unüberhörbar trauriger Stimme sprach ich zu Irrulayt: "Meister der Magie, Ihr, Euere Loge und die Gilde der Zauberer haben sich unendlich viel Mühe gegeben. Ich danke Euch von Herzen dafür. Doch wieder sehe ih nur Erinnerungen und ein Bild. Zugegeben ein schönes Bild, aber nur einen Augenblick der Erinnerung." Der Magier jedoch lächelte geheimnisvoll und legte seinen Arm um meine Schultern: "Ich dachte mir, dass Ihr im ersten Moment enttäuscht seid. Doch wisset, es sind nicht Euere Erinnerungen, die Euch eben vor Augen kamen. Es sind die des Bildes." Erstaunt sah ich ihn an. Und er erklärte weiter: "All Euere Erinnerungen sind in dieses Gemälde gebannt. Und wer das Bild ansieht, sieht auch Euere Erinnerung. Jeder und zu jeder Zeit - das war das Schwierigste an der Magie. Es ist Elfenmagie, die hier wirkt. Durch ferne Länder sind wir gereist, um das hier möglich zu machen. Jenseits des grossen Meeres, in einem Land, das am' erica heisst, fanden wir ein altes Artefakt. Es stellte Kaaloth dar und war versehen mit einer uns selbst unerklärlichen Magie. In einem anderen Land, die Bewohner nennen sich s'weden, fanden wir ein getreuliches Abbild von Leti. Ebenfalls mit einer Aura, die der Loge der Magier nicht bekannt ist. Diese Teile haben wir in das Bild gebannt - und herausgekommen ist die Lösung Eures Problemes. Denn nicht nur die Erinnerungen, also das gestern wird dauerhaft festgehalten. Nein, die beiden Artefakte haben anscheinend die Eigenschaften, alles was ihr noch erleben werdet ebenfalls festzuhalten."
Mit diesen Worten lies mich der Magier alleine im Turm. Ich stand noch lange vor dem Bild, versunken in die Erlebnisse, die schon längst Vergangenheit sind, und doch ein ganz anderer Taulin von Tar 'Ant, als gestern noch. Ich wusste jetzt, niemand konnte die Erinnerungen nehmen und viele konnten sich jetzt daran erfreuen."
Taulin verstummte, klappte das alte, schwere Buch zu und sah seinen Besucher an. "Ja, so lautet die Geschichte von Kaaloth, Leti und der Magie des Augenblickes. Jedes Mal, wenn ich das Bild heute erblicke, erfreue ich mich daran. Und wenn Ihr wollt, dann folgt mir jetzt. Ich zeige Euch das Bild - und verliert Euch nicht in der Magie des Augenblickes........
(C) by Claus Meurer