Wie erniedrigend! Die Nachtalben starrten Taulin mit ihren dunklen
Augen an, musterten ihn abfällig. Wenn sie in ihm den gesuchten Dieb
erkannten! Nicht auszudenken, wie sie mit einem Spion umgehen würden.
Mit einem Spion und Dieb jedoch, dies bedeutete Folter und einen langsamen,
grausemen Tod.
Wieder wünschte Taulin, nicht mit Urung `tal Samong gegangen
zu sein, doch solche Wünsche nutzten jetzt nichts mehr. Im Lichtschein
eines Lagerfeuers stieß man sie zu Boden. Taulin konnte den Sturz
nicht abfangen, mit gefesselten Händen schlug er hart auf. Einen Augenblick
drehte sich alles um ihn, dann klärte sich sein Blick wieder und er
rappelte sich hoch, bis er saß. Die Nachtalben spotteten:
„Seht euch das Paar an! Ein Zwerg und ein Mischling! Einer hässlicher
als der andere und keiner etwas wert!“
Taulin erbleichte. Er zitterte vor Zorn. Wenigstens verdrängte
dieses Gefühl für einen Moment die bohrende Angst.
„Mach dir nichts draus“, flüsterte Urung `tal Samong neben
ihm. „Schlimmer wäre, wenn sie uns als Freunde ansehen würden.“
„Na ja, wenn mir dadurch eine Flucht möglich wäre, könnten
sie mich schon als Freund behandeln“, murmelte der Halbelf.
Nach einem verächtlichen Blick presste der Zwerg hervor: „Lieber
würde ich sterben!“
„Das werden wir auch, oder hast du schon einen Plan? Du bist doch
Hüter der 3. Lichtpforte. Da musst du doch ein hervorragender Krieger,
Spion, Gelehrter oder alles auf einmal sein!“
„Nein, Meister Urung `tal Samong hat selbstverständlich keinen
Plan“, sprach jemand scharf. Zwerg und Halbelf fuhren herum. Neben ihnen
stand ein großer, muskulöser Nachtalb. Die schuppenartige Haut
glänzte blauschwarz. Risto der Glänzende, bereits vergangene
Nacht hatte Taulin ihn gesehen.
„Der Zwerg wird keine Hilfe erhalten“, fuhr der Nachtalb fort. „Er
ist nichts weiter als ein Kundschafter. Seine Freunde sind meilenweit entfernt
und der Wald ist dicht. Zwerge reden viel und vollbringen nichts! – Nicht
jeder hat einen Meisterdieb wie dich als Führer, Halbelf Taulin.“
Bei diesen Worten starrte er Taulin an, mit kalten, durchdringenden Augen.
Woher wusste Risto dies? Woher kannte er ihre Namen? Gemeinhin galten
Nachtalben nicht als klug und magische Fähigkeiten besaßen sie
nicht. Wer hatte ihm all das verraten? Wer unterstützte ihn, so dass
er Einigkeit unter die streitsüchtige Horde bringen konnte?
„Bringt den Dieb in mein Zelt!“, befahl Risto der Glänzende.
Zwei Nachtalben zogen Taulin auf die Beine und nahmen ihn in die
Mitte. Sie führten ihn auf das größte der Zelte zu. Im
Schatten war es stockdunkel, doch Taulins Augen waren ebenso an die Finsternis
gewöhnt wie die der Nachtalben. Dies verdankte er dem Blut der Elfen
in sich. Aus der Dunkelheit glühten ihm zwei rote Punkte entgegen.
Augen. Taulins Blut gefror. In dem großen Zelt lauerte ein N`dragoth!
Die N`dragoth führten die Nachtalben an, so wie in vergangenen Zeiten!
Heimlich kehrten sie zurück. Taulin konnte die Kälte, die von
dem bleichen Wesen ausging, bereits spüren.
Er zögerte nicht länger. Mit der linken Schulter stieß
er einen seiner Begleiter zur Seite und stürmte los. Die Nachtalben
waren vollkommen überrumpelt, trotzdem folgten sie ihm sogleich. Die
gebundenen Hände behinderten Taulin und doch lief er schnell. Er war
ein guter Läufer und die schützenden Bäume waren nah. Taulin
erreichte bereits den Rand der Lichtung. Was hatte Urung `tal Samong gesagt?
Das Gelände war unübersichtlich, hier konnte man sich leicht
verbergen! Das würde er gleich tun und später wollte er den Zwerg
befreien. Die Verfolger kamen jedoch näher. Auf einen Kampf durfte
Taulin sich nicht einlassen. Er hätte keine Chance!
„Gleich hab ich dich, du Mist...aaaaauuuuuaaaaaa!“, brüllte
ein Nachtalb hinter ihm. Ein lauter Knall, Zweige brachen, der zweite Nachtalb
stürzte über den ersten. Im selben Moment stellten sich mehrere
Männer in Taulins Weg. Sie hielten Äxte in den Händen.
Keine Nachtalben, stellte Taulin erleichtert fest, als man ihm die
Fesseln durchtrennte.
„Danke“, murmelte er. „Was macht ihr hier?“ Die Männer hatten
schwarze Haare, stämmige, kleine Körper. Taulin hatte Sein vor
sich.
Einer der Sein zog ihn tiefer in die Schatten und kümmerte
sich nicht weiter um die ausschwärmenden Nachtalben. Schon wieder
suchten sie nach Taulin und wieder liefen sie in die falsche Richtung.
„Sein-Männern zu begegnen scheint dich sehr zu überraschen“,
sprach sein Gegenüber. „Wir sind nicht länger bereit, von Frauen
unterdrückt zu werden. Wir Mitglieder der Gilde der Holzfäller
sind der Meinung, dass auch uns Männern magische Kräfte innewohnen.“
Taulin schüttelte den Kopf. „Warum nutzt ihr diese dann nicht?“
„Weil Söhne nicht gefördert werden! Sie werden als minderwertig
betrachtet, ihre Anlagen verkümmern! Dem wollen wir jetzt entgegentreten
und die Magie wiedererwecken!“
„Dazu braucht ihr Lehrer.“
„Ja, die haben wir gefunden.“
„Wen? Ich habe nichts davon gehört, dass Elfen euch unterrichten.
Eure Frauen werden auch nicht dazu bereit sein, wenn stimmt, was ihr sagt."
„Es gibt noch andere Magier. Die N`dragoth haben uns ein interessantes
Angebot unterbreitet.“
Taulin, umringt von Sein-Männern, fühlte wie ihm plötzlich
übel wurde.
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