Der grosse Rat


Der grosse Marktplatz war voller Leute. In dem Viereck zwischen den schlanken Türmen der Zitatelle konnte man sich kaum bewegen. Alle Rassen waren vertreten, Zwerge standen neben Elfen; Sein unterhielten sich mit Flussschiffern und alles wartete auf die grosse Ratssitzung, die zwar nicht öffentlich war, das Ergebnis aber doch jeden in Tar' Ant interessierte. Und der Beschluss des Rates, was gegen die aufkeimende Bedrohung aus dem dunklen Land geschehen kann, sollte noch heute verkündet werden.

Asbin und Eldo bahnten sich einen Weg duch das Gewimmel und Taulin folgte ihnen. Die kleine blaue Feuerechse, die ihm auch über Nacht Gesellschaft leistete, sass aufmerksam um sich blickend wieder auf seiner Schulter, ab und zu stiess sie einen kaum wahrnehmbaren kleinen Rauchkringel aus.

Vor dem mächtigen Eingangsportal zur Zitatelle standen zwei Mitglieder der Stadtwache und versperrten den Weg mit gekreuzten Hellebarden. "HALT ! Wer seid ihr ? Heute findet keine Audienz statt, der grosse Rat tagt." So sprach die Wache zu Asbin. 

"Ich bin Asbin, der Waldläufer. Und das hier ist Eldo, mein Kamerad. Wir kommen im Auftrag unserer Gilde um dem grossen Rat zu berichten." Mit einer Handbewegung deutete er auf den Halb-Elfen und sagte: "Und das hier ist Taulin aus dem Elfenwald. Er steht unter unserem Schutz und soll ebenfalls vor dem Rat sprechen. Lasset uns ein - wir werden erwartet." 

"Ihr könnt passieren - aber die Feuerechse bleibt draussen. Sie hat dem Rat bestimmt nichts zu sagen....." Während die Wache noch lachte, flatterte Taulins kleiner Freund  mit einem wütenden Zischen auf und flog unter heftigem Gezeter um den mit einem bunten Federbüschel geschmückten Helm der Wache. Die drei Gefährten blickten verwundert und amüsiert auf die tollkühnen Flugmanöver des kleinen Tierchens und die Wache meinte unter wilden Gefuchtel mit den Händen, um die Echse abzuwehren: "Also gut - ihr könnt alle passieren.... aber holt eueren kleinen Plagegeist zurück..." Sofort beruhigte sich die Feuerechse wieder und landete mit einem eleganten Flugbogen auf ihrem angestammten Platz auf Taulins Schulter, nicht ohne den beiden am Tor noch einen verächtlichen Blick zuzuwerfen.

Sie eilten durch die Gänge, ihre Schritte hallten wieder von den Wänden und das laute Treiben auf dem Marktplatz war nur noch als leises murmeln zu hören. Endlich war der grosse Ratssaal erreicht. Getäfelt mit dunklem Eisenholz aus Sero' ng wirkte er düster und bedrohlich, lediglich die Fahnen und Banner der Gilden und Völker sorgten für etwas Farbe. Die Bänke waren bereits gut gefüllt. Der Thron, auf dem König Ruoialis Platz nehmen sollte, war aber noch verwaist. Überall hatten sich bereits Grüppchen gebildet, die zusammenstanden und diskutierten. Asbin gesellte sich zu einer weiteren Gruppe Waldläufer, die die Gegend um die Nebelspitze erkundet hatten und stellte seine Gefährten vor. Taulin blickte sich um - und erstarrte vor Schreck. Kaum ein paar Plätze weiter erblickte er Druin, den Hochelfen. Ihre Blicke kreuzten sich, Druin runzelte die Stirn und als er Taulin erkannte bildetet sich über seiner Nasenwurzel eine tiefe Spalte. Die, die sich immer bildet, wenn der Hochelf ärgerlich war. Doch in diesem Augenblick ertönte auch bereits der Ruf der Herolde: "Ratsmitglieder ! Der König von Cammuoria ! Herrscher über das Land, Beschützer des Seenbundes Sidragho und Freund des Zwergenreiches Granol 'Ur ! Ruoialis der Edle tritt zu Euch. Erhebt Euch und schweiget !" Unter diesen Worten betrat der König den Ratssaal, durchmass ihn mit energischen Schritten und nahm auf dem Thron Platz.

"Ratsherren von Cammuoria, Freunde und Gäste. Wir sind zusammengekommen, um übereinzukommen, ob eine Gefahr aus dem dunklen Land besteht und wie wir ihr entgegentreten können. Ich habe Späher ausgesandt, wie auch die Zwerge und die Sein. Die Elfen - er blickte zu Druin - berichten ebenfalls von merkwürdigen Begebenheiten. Und die Überfälle auf das Seenvolk von Sidragho an der Quelle den Nimwein nehmen auch überhand. Lasset uns die Berichte hören. Thethin von Granol' Ur soll als erster berichten" sprach Rouialis. 

Der Zwerg erhob sich von seinem Platz und berichtete über die Ereignisse an den Lichtpforten. Daß des nachts helle, magische Lichterscheinungen über dem dunklen Land gesehen wurden, die Nachtalben sich zu immer grösseren Gruppen zusammenschlossen und anscheinend geheimnisvolle Aktivitäten im alten, leerstehenden Drachenlager stattfinden. Danach sprachen Yilmira als Vertreterin der Sein und Kalork vom freien Seenbund Sidragho beklagte die immer häufiger werdenden Überfälle auf die Handelsschiffe.

Als alle gesprochen hatten, wirkte König Rouialis sehr nachdenklich. Er stützte seinen Kopf auf die Hände und blickte die Vertreter der alten Allianz, die sich schon bei der Schlacht am Nimweinfluss bewährt hatte, an. "Nun, keine guten Neuigkeiten." sprach der König. "Aber lasst nun auch die Gilde der Waldläufer sprechen. Ich habe sie ausgesandt um nach Spuren eines Einflusses der N'dragoth auf die Nachtalben zu suchen. Werter Freund Asbin, was habt Ihr zu berichten ?" 

Asbin begann mit seiner Schilderung des letzten Kontrollganges zur Flusshöhe: "Wie ihr alle wisst, rotten sich die Nachtalben immer mehr zusammen. Ich habe eine Horde von ihnen beobachtet. Es scheint mir, als dass ein neuer Führer kommen wird. Die Geschöpfe des Dunklen sind nach wie vor grausam und neidisch auf des Nachbarn Brot - doch herrscht innerhalb ihrer Horden eine ungewöhnliche Ruhe. Sie mag erzwungen sein, aber genau das ist es, was ein neues Unheil ahnen lässt. Der Anführer der Lumpenhorde, die ich beobachtete, trug ein silbernes Amulett, in das ein roter Rubin gefasst war. Nachtalben - und das wisst ihr so gut wie ich - tragen keinen Schmuck. Das kann also nur ein magischer Anhänger sein, die es den N'dragoth ermöglicht, die Nachtalben zu kontrollieren. Doch auch sonst geschehen seltsame Dinge: Die Tiere im Schattenwald sind völlig verängstigt und gestern, in der Taverneflog meinem Freund hier - er zeigte auf Taulin  - eine blaue Feuerechse zu. Und sie blieb bei ihm, wie ihr seht. Ungewöhnliche Dinge, auf die ich mir keinen Reim machen mag. Wenn ihr mich fragt, mein edler Gebieter, dann ist Cammuoria in Gefahr. Vielleicht stehen wir auch vor einem neuen Krieg. Mögen die Götter über uns wachen - und ich wünschte mir die Drachen herbei."

Bei der Erwähnung der Drachen flatterte die blaue Echse aufgeregt hoch, flog quer durch den Raum, über des Königs Kopf hinweg und liess sich auf der Befestigungsstange des Banners der Drachenreiter, das hinter dem Thron zur Mahnung an die schreckliche Schlacht am Nimwein aufgehängt war, nieder. Stolz sass sie da, mit ausgebreiteten Flügeln, den Kopf hoch erhoben. Alle Augen im Saal verfolgten den Flug. Nur Druin blickte skeptisch auf Taulin. Rouialis verfolgte ebenfalls die Kapriolen und sprach, mehr zu sich gewandt: "Ja, die Drachen - wir vermissen sie als Freunde. Und erst Recht, wenn es zum Kampf kommen sollte.... Diese kleine Echse, wie sehr erinnert sie mich an Peregoth." "Sie gehört zu dir, Taulin aus dem Elfenwald ? Hat sie schon einen Namen ? Sie hat sich offenbar für dich entschieden, dann steht dir auch zu einen Namen zu vergeben... " Taulin, den das erste Mal in seinem Leben ein König direkt ansprach wurde rot bis unter die Haarspitzen. "Nein, Herr. Ich habe noch nicht darüber nachgedacht... Vielleicht könnt ihr..." stammelte er mit dünner Stimme. "Ich gebe dir einen Rat" unterbrach der König ihn. "Du hast jetzt grosse Verantwortung. Blaue Echsen sind sehr selten. Behandele sie gut und vielleicht kannst du einen Namen vergeben, der das Andenken der so schmerzlich vermissten Drachen bewahrt. 'Kaaloth' wäre vielleicht passend, im Gedenken an den grossen Kämpfer Kaaloth, der sich selbst opferte, um Leben zu retten." "So soll es sein Herr" erwiderte Taulin, und während er sprach, flog Kaaloth, wie das Tierchen jetzt hiess, auf die Armlehne des Thrones und sah Rouialis mit glänzenden Augen an, stupste ihn mit dem Kopf, flog wieder auf - hin zu Taulin und nachdem er sich kurz auf dessen Schulter niedergelassen hatte, zurück zum Banner der Drachenreiter. Unruhe entstand im Saal. 

Mit tiefer Stimme meldete sich Druin zu Wort: "Mein König, auch ich vermisse die Drachen sehr. Doch hier fliegt kein mächtiger Drache, sonden nur eine harmlose Feuerechse. Wir sind zusammen gekommen, um über die Lage in Cammuoria zu beraten. Und nicht um einem Boten eines nichtsnutzigen Halb-Elfen einen Namen zu geben." Der König blickte ihn an. "Ja, Druin. Du magst Recht haben. Aber ich fühle, dass dieser Nichtsnutz, wie du zu sagen pflegst, und seine Echse vielleicht eine Rolle im Schicksal des Landes spielen werden. Es scheint mir, Kaaloth will uns etwas sagen... Sieh' nur, wie er immer wieder zwischen dem Banner der Drachenritter und seinem Herrn hin und her fliegt. Sind die Drachen wirklich tot ? Oder weiss dieser kleine Blaue da mehr ? Kann er wie seine grossen Brüder in unsere Gedanken sehen ? Ich bin mir nicht ganz sicher, aber wir dürfen die Möglichkeit nicht ausser Acht lassen. Deshalb verfüge ich, Herrscher über Cammuoria, folgendes: Es wird ein Heer aufgestellt, an dem sich Menschen, Elfen, Zwerge und Sein anschliessen sollen. Kalork - ihr vom Seenvolk übernehmt den Transport den Nimwein hinauf. Wir werden die Festung Yarl wieder besetzen um gerüstet zu sein. Das Heer soll in fünf Tagspannen abmarschbereit sein. Und jetzt zu Euch, Taulin, Halb-Elf und Nichtsnutz wie Euer Hochelf Euch  bezeichnet. Fühlt Ihr Euch bereit, für eine lange Reise, die auch gefahrvoll sein wird ? ... Nein - sagt noch nichts. Ihr werdet nicht alleine gehen. Bandar, mein erster Ritter und Asbin werden Euch begleiten. Ebenso erbitte ich vom Volk der Sein und der Zwerge Unterstützung. Ihr und diese Gemeinschaft sollt die Drachen suchen."

Ein aufgeregtes Raunen ging durch den Saal. Taulin sass wie erstarrt - dass sich sein Leben so gründlich ändern würde, daran hätte er im Traum nicht gedacht. Er musste sich erstmal wieder ein wenig fassen und er blickte an seine Seite zu Asbin, der ihm ermunternd zulächelte. "Mein König, wenn ihr es wünscht, dann gereicht es mir zur Ehre, die Drachen zu suchen. Ich werde nicht eher ruhen, bis sie entweder gefunden sind, oder es feststeht, dass keine Drachen mehr unter uns weilen." sprach Taulin mit inzwischen festerer Stimme."

Und so geschah es, dass der König die Beschlüsse durch die Herolde dem Volk von Cammuoria verkünden liess. Auf Taulin wartete eine lange gefahrvolle Reise. Asbin wandt sich an Taulin: "Kommt mit, wir gehen erstmal in die 'eilige Schnecke', dort treffen wir uns auch morgen mit der Sein und dem Zwerg, die mit uns gehen werden. Bandar werden wir bestimmt schon heute abend treffen. Wenn seine Reisevorbereitungen getroffen sind, kommt er bestimmt auf einen Krug Braunbier vorbei." Kaaloth flatterte den beiden auf dem Weg zum Gasthaus voran.

 


 
Der Elfenstein
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